Einführung von Prof. Dr. Michael Soffel - Universität Dresden

Als ich Hug Mundinger vor einigen Jahren zum ersten Male traf und er mir einige seiner Werke zeigte, war ich zunächst sehr erstaunt über die Vielzahl seiner künstlerischen Techniken und Darstellungsweisen. Hug Mundinger hat viele seiner Arbeitstechniken selbst erfunden: so arbeitet er nicht nur mit Pinsel und Spachtel, sondern häufig auch mit Farbspraydosen und mit der Spritzpistole. Oft wird der Malgrund (Karton, Sperrholz, oder Leinwand) mit verschiedenen Materialien wie Sand, Kunststoffen und Papier etc. bearbeitet, um beispielsweise dreidimensionale Strukturen herzustellen. Diese Techniken bringen ein vielfältiges Spektrum an Farbwerten und Farbstimmungen hervor: von düsteren, schlamm- oder rußartig gezeichneten Bildern reicht die Palette bis zu überaus farbfreudigen und luftigen Abbildungen.

Mundingers Werke lassen allgemein in ihrer Darstellungsart neue, originelle und verblüffende Züge erkennen. Darüberhinaus kann man aber auch bei vielen Bildern des Künstlers eine intensive Auseinandersetzung mit der Sicht-, Gestaltungs- und Abbildungsweise der führenden Meister der Moderne feststellen.

Über diese historisch ebenso notwendige wie künstlerisch fruchtbare Auseinandersetzung mit den Meistern der Moderne – von Degas bis Picasso, von Miro über Ernst bis Dali – fand Hug Mundinger zu seinem ureigenen Stil. Durch neue aktuelle Themenstellungen und adäquaten Techniken und Verfahrensweisen gelang es dem Künstler eine entscheidende Elementarisierung der bildnerischen Mittel und ihrer vielschichtigen Wechselbeziehungen. Eine formale wie inhaltliche Neubestimmung der „Bildaussage“ wurde dadurch generell ermöglicht.

Auf den ersten Blick erkennt der Betrachter Gegenständliches, Figürliches einerseits, geometrisch Abstraktes andererseits. Der Mensch ist eines der zentralen Themen. Mit denen Mundinger sich auseinandergesetzt hat; abstrakte, gerade noch erkennbare Akte sind in seinem Werk sehr zahlreich vertreten. Bei den scheinbar ungegenständlichen Bildern fallen zunächst oft rein geometrische Figuren wie Kreise oder Rechtecke ins Auge. Erst beim zweiten Hinsehen erkennt man, dass sich diese geometrischen Gebilde um eine Sonne handelt, welche von der Oberfläche eines umkreisenden Planeten aus betrachtet wird. Schaut man sich ein solches Bild genauer an, so erkennt man weitere Strukturen, die man mit einem Planeten verbindet: baum- oder strauchartige- Gebilde, die sich vielleicht sogar im Wasser eines Sees oder Meeres wiederspiegeln.

Die Erkenntnis, dass sich ein kosmischer Bezug quer durch das ganze Werk von Hug Mundinger zieht, hat mich in der Tat sehr berührt. Aus ihr ist letztlich die Idee für das vorliegende Buch (nicht im Handel erhältlich) erwachsen. Hat man erst das geistige Auge auf diesen kosmischen Bezug hingelenkt, dann erkennt man in den Werken die vielen Gebilde und Strukturen unseres modernen naturwissenschaftlichen Weltbildes wieder: Sonnen, Planeten, Galaxien, Supernovae, lebendige Wesen. Und nicht nur die Strukturen im Raum der kosmischen Tiefe sind vertreten, sondern auch der zeitliche Aspekt der kosmischen Evolution kommt in seinem Werk zum Ausdruck. Da gibt es Bilder, die auf die Geburt unseres Alls in Form eines Urknalls hinweisen, andere verweisen auf Leben und Tod der Sterne, wiederum andere auf die Entstehung großräumiger Strukturen wie Galaxien. Letztlich weisen sie auf die zukünftige Entwicklung des Alls hin, auf sein Ende und seinen Tod, der womöglich nichts anderes darstellt als nur einen Neubeginn des kosmischen Geschehens.

So entwickeln moderne Kunst und moderne Naturwissenschaft gemeinsam ein Spannungsfeld. In diesem bilden visionäre Vorstellungen der Kunst einerseits mit dem Bemühen der Naturwissenschaft um konkrete, messbare Faktenbestimmung andererseits eine fruchtbare Symsbiose.

 

Tübingen, 20.1.1995